Julian Reuter und karuun®

An der Küste des Indischen Ozeans, zwischen Koralleninseln und dichten Wäldern liegt die Hafenstadt Padang. In einer kleinen Fabrik wird hier ein Material gesammelt und verarbeitet, das als Rohstoff beinahe vergessen war: Rattan. Weit davon entfernt, in einem kleinen Ort im Allgäu, umgeben von Bergen und Seen entsteht eine Vision: genau diesen Werkstoff zu reanimieren...

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Kaum ein Thema wird so intensiv und kontrovers diskutiert wie die Globalisierung. Der weltweite Ressourcenverbrauch nimmt stetig zu. Die Folgen sind Erderwärmung, Waldsterben, ökologischer Raubbau, der Verlust regionaler Vielfalt sowie eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich. Gleichzeitig lässt die Vernetzung von Menschen, Wegen und Kulturen rund um den Globus aber eine Bewegung entstehen, die der Dominanz der Ökonomie über die Ökologie entgegenwirken möchte. Denn in einem dürften sich alle einig sein: Die globalen Herausforderungen lassen sich längst nicht mehr ausschließlich mit nationalem Denken bewältigen. Das Ziel: eine weltweite nachhaltige Transformation der industriellen Wertschöpfung – weg von kurzfristiger Gewinnmaximierung, hin zu sozialer und ökologischer Verantwortung. Dass dies kein Widerspruch sein muss, zeigt ein Allgäuer Start-up, dessen Geschichte im Urwald Sumatras beginnt.

Der Regenwald ist nicht nur Lebensgrundlage vieler Völker und Lebensraum zahlreicher Pflanzen und Tiere, sondern bindet Schätzungen zufolge 250 Milliarden Tonnen CO2, etwa das 90-fache der menschengemachten Treibhausgas-Emissionen – pro Jahr.

Die Welt zu retten ist eigentlich nicht Julian Reuters Ziel, als er während eines Surftrips auf Bali über einen kleinen Kunsthandwerkermarkt schlendert. Und doch ist dies der Moment, in dem sich alles ändert. Denn an einem der Stände entdeckt er eine kunstvoll verformte Rattankonstruktion und ist verblüfft: Diese Eigenschaften sind ihm als angehender Produktdesigner von einem Naturprodukt bislang völlig fremd. Reuter ist fasziniert, recherchiert weiter und findet heraus, dass die Kultivierung und Ernte von Rattan in den 70er- und 80er-Jahren sogar zur Erhaltung des Regenwaldes beigetragen haben. Ein Fakt, der aus der anfänglichen Faszination eine zukunftsweisende Vision heranwachsen lässt.

Gemeinsam mit seinem Freund und Geschäftspartner Peter Kraft erkennt er das Potenzial des Materials: Sie gründen das Unternehmen out for space und aus Rattan wird... karuun®. Ein Material, das als natürliche Antwort auf Kunststoff wirtschaftliche, soziale und ökologische Ziele auf eine Ebene bringen soll.

Der Name karuun® ist abgeleitet vomindomalayischen Ausdruck „harta karun“ und bedeutet „versteckter Schatz“.

Startschuss für die organische Kunststoffalternative ist die Erteilung des Patents zur Veredelung und Weiterverarbeitung von Rattan zu Halbfertigwaren wie Platten, Blöcken und Furnieren. Mit seiner geringen Dichte gehört Rattan zu den natürlichen Leichtbaumaterialen und birgt enorme Potenziale in der Verarbeitung. Mit geringstem Energieaufwand werden licht- und UV-stabile Farbpigmente in die durchgängigen Kapillaren der geschälten Rattanstange injiziert – ein Verfahren, das die einzigartige Struktur der Pflanze nutzt.

Das Ergebnis: die “karuun®-Stange”, die anschließend quadratisch gefräst wird. Die Kantlinge werden zu Platten verleimt und zu Blöcken gepresst. Je nach Schnittrichtung zur Faser ergeben sich bei der Weiterverarbeitung verschiedene Eigenschaften mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Wie etwa die Beschichtung von Oberflächen oder formstabile, sphärische Objekte in ökologischen Bauprojekten, Innenarchitektur sowie im Möbel- und Objektbau. Bei Konsumgütern, Sportartikeln oder elektronischen Geräten sollen Teile aus karuun® in Zukunft sogar Plastik ersetzen können.

„Unser Material wurde von der Industrie für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche ausgiebig getestet. Die Nachfrage ist hoch und das ist erfreulich für uns – und die Umwelt“, so Felix Wurster CEO der out for space Gruppe. Seine Überzeugung: Eine nachhaltige, wirtschaftliche Entwicklung lässt sich langfristig nur dann erreichen, wenn gleichzeitig umweltbezogene und soziale Ziele berücksichtigt werden. Aus diesem Grund produziert out for space ausschließlich nach bio-ökonomischen Standards. Denn mit karuun® sollen sich nicht nur neue Potenziale in der Verarbeitung ergeben, es trägt auch zum Erhalt von Tropenwäldern und zur langfristigen Sicherung der Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung am Produktions-standort Indonesien bei. Als ein nachwachsender Rohstoff wächst Rattan wie eine Liane von Baum zu Baum und wird auf die umweltfreundlichste Art und Weise geerntet: per Hand von lokalen Bauern. Mit einer bewussten Kultivierung von Rattan soll so der Schutz der Tropenwälder vorangetrieben und ein Schritt hin zur modernen Kreislaufwirtschaft getan werden. Denn Rattan wächst nicht in Monokulturen und bildet somit auf natürliche Weise eine Symbiose mit benachbarten Bäumen; es braucht den Regenwald zum Gedeihen.

Direkt am und im Wald leben die lokalen Farmer. Aufgrund von illegaler Abrodung für Palmöl oder dem illegalen Gold-mining wird ihnen mehr und mehr die Lebensgrundlage genommen. Rattan ist neben Kautschuk für die älteren Generationen die Haupteinnahmequelle. In der Padang-Rattan-Fabrik arbeiten hauptsächlich junge Menschen im Alter zwischen 20 und 30. Sie sind stolz, eine kleine Produktion zu managen, sind neugierig und offen, neue Dinge zu lernen, aber auch Ihre Ideen mit einzubringen. Von Padang gelangt das Material mit dem Schiff nach Semarang auf der Insel Java. Dort werden die Rattanstangen eingefärbt, zu Blöcken und dann zu karuun®-Materialien weiterverarbeitet, um dann entweder direkt zu Kunden in Asien versendet zu werden oder ins Lager nach Kißlegg im Allgäu. „Als Allgäuer Unternehmer wissen wir, wie wichtig in einer globalen Welt die regionale Identifikation ist. So ist es uns ein Herzensanliegen, dass die Wertschöpfung mit karuun® auch der einheimischen Bevölkerung Indonesiens zugutekommt.“, beschreibt Julian Reuter. So schließt sich der Kreis von der Vision zum fertigen Produkt und eröffnet einen Raum für neue und gemeinsame Erfahrungshorizonte.

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